Ein Editionsprojekt, das Daten zur personellen Zusammensetzung der höchsten deutschen Bundesgerichte seit ihrer Gründung erhebt, digitalisiert, aufbereitet und offen zugänglich macht, um insbesondere die rechtsempirische und sozialwissenschaftliche Erforschung der deutschen Justizgeschichte zu fördern und zur breiten Öffnung der Forschung (sog. Open Science) beizutragen.

Problem: Wer ist Wer in der Justiz?

Gerichtsurteile sind Menschenwerk, deshalb ist es wichtig, die dahinterstehenden Menschen zu kennen. Dadurch können Rechts- und Sozialwissenschaftler untersuchen, wie Richter­persön­lich­keiten, soziale Netzwerke und politische Einflüsse die Rechtsprechung und den juristischen Diskurs mitbestimmen. In den USA ist solche Forschung längst etabliert, doch in Deutschland fehlt dafür die entscheidende Ressource: Systematische Daten darüber, welche Richter wann für welche Urteile verantwortlich waren. So stellte ein namhafter Sozial­wissen­schaft­ler in einer Studie über das Bundesverfassungsgericht fest:

Während die Besetzung des Gerichtes in den letzten 25 Jahren aber noch recht gut aus frei zugänglichen Quellen wie der Qualitätspresse oder dem Munzinger Archiv recherchiert werden kann, liegt das erste Vierteljahrhundert noch deutlich im Dunkeln.

Dieses Dunkel lässt sich nur durch die sog. Geschäftsverteilungspläne aufhellen, die seit 1951 jährlich im „Bundesanzeiger“ abgedruckt, aber nie rückwirkend digitalisiert wurden.

Lösung: Daten zur Gerichtsbesetzung

Geplant ist die Digitalisierung, Aufbereitung (d.h. Konvertierung in maschinenlesbare Formate und Anreicherung um Metadaten) und Zugänglichmachung der Geschäftsverteilungs­pläne des deutschen Bundesverfassungsgerichts und der obersten Bundesgerichte; während der gegenwärtigen Pilotphase betrifft dies vorrangig die Senatsbesetzung des Bundes­verfas­sungs­gerichts und des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen. Diese Daten sollen unter der CC0-Lizenz (Public Domain) veröffentlicht werden, da sie als amtliche Werke nach deutschem Recht gemeinfrei sind (§ 5 UrhG) und jedermann uneingeschränkt zur Verfügung stehen sollten.

Das damit skizzierte Editionsprojekt ist den Werten der Open Science-Bewegung verpflichtet und erschließt Daten gerade auch für Forschungszwecke (Open Data). Es wird finanziell und ideell gefördert durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und den Wikimedia Deutschland e.V. im Rahmen ihres gemeinsamen Fellow-Programms „Freies Wissen“. Erste Ergebnisse werden im Februar 2017 vorgestellt und das Projekt zugleich evaluiert – mehr dazu im Abschnitt Projektdokumentation. Das Projekt kooperiert zudem mit der rechts- und computer­linguis­tischen CAL²-Forschungsgruppe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Wissenschaftlicher Beirat

Das Projekt wird geleitet von Dr. Dr. Hanjo Hamann, begleitet von Prof. Dr. Claudia Müller-Birn und beraten durch einen Projektbeirat von vier Wissenschaftlern der einschlägigen Disziplinen:

Prof. Dr. Friedemann Vogel

Friedemann Vogel

Beirat (Linguistik)
Universität Freiburg

Prof. Dr. Katharina Anna Zweig

Katharina Anna Zweig

Beirätin (Informatik)
TU Kaiserslautern

Prof. Dr. Thomas Gschwend

Thomas Gschwend

Beirat (Politikwissenschaft)
Universität Mannheim

Dr. des. Gregor Albers

Gregor Albers

Beirat (Rechtsgeschichte) Universität Bonn

Projektdokumentation

An dieser Stelle werden die Fortschritte und Ergebnisse des Projekts festgehalten. Für Fragen zum Projekt oder um auf dem Laufenden gehalten zu werden, wenden Sie sich bitte an den Projektleiter unter der E-Mail-Adresse hamann@coll.mpg.de.

Die Auftaktveranstaltung hat am 9.-11. September 2016 in Berlin stattgefunden, die Finanzierung des Projekts ist zunächst bis Februar 2017 gesichert. Die vorläufigen Ergebnisse des Editionsprojekts werden am 10./11. März 2017 bei Wikimedia in Berlin öffentlich vorgestellt.

Die Projektergebnisse sind auf der Startseite zusammengestellt, dort finden sich sämtliche Geschäftsverteilungspläne des BGH seit seiner Gründung am 1.10.1950 (jeweils zu Jahresbeginn); auf dessen Website auch die Fundstellen der damaligen Druckveröffentlichungen samt unterjährigen Änderungen. Zu den anderen sechs Gerichten sind folgende weiterführende Informationen zu berichten:

Bundesfinanzhof (BFH)

Hinsichtlich der hier noch fehlenden Geschäfts­verteilungs­pläne seit Gründung des BFH am 1.10.1950 war aus dem Gericht zu erfahren, dass "Fundstellen für die fraglichen Jahre hier nicht verfügbar" seien (E-Mail von G.S., Zentralabteilung, 6.12.2016). Die Geschäftsverteilungen lassen sich allerdings aus einer Druckveröffentlichung rekonstruieren, die das Gericht freundlicherweise digital zur Verfügung gestellt hat:

BFH (Hrsg.), 60 Jahre BFH. Eine Chronik, 2010, S. 505 ff. ("Richterinnen und Richter am BFH"), 523 ff. ("Entwicklung der Senatszusammensetzungen"), 545 ff. ("Sachzuständigkeiten der einzelnen Senate")

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Quellen für die hier noch fehlenden Geschäfts­verteilungs­pläne seit Gründung des BVerwG am 8.6.1953 sind nicht bekannt. Nach Auskunft aus dem Gericht existieren auch dort "keine Fundstellenlisten über die Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne" (Brief von K.O., Leiterin der Präsidialabteilung, 2.1.2017). Die Senatsbesetzungen dürften sich allerdings aus der folgenden Druckveröffentlichung rekonstruieren lassen:

Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1143 ff.: "Richter und Senate des Bundesverwaltungsgerichts"

Bundessozialgericht (BSG)

Auf Hinweis des Gerichts wurden der juris-Datenbank folgende Bundesanzeiger-Fundstellen (Heft/Jahr, Seite) der hier noch fehlenden Geschäftsverteilungspläne seit Gründung des BSG am 11.9.1954 entnommen:
42/1955, S. 4 … 54/1956, S. 2 f. … 59/1957, S. 3 … 205/1957, S. 4 … 37/1958, S. 3 f. … 32/1959, S. 4 … 28/1960, S. 6 … 125/1961, S. 3, 5 … 24/1962, S. 3 … 20/1963, S. 4 … 25/1964, S. 3 … 21/1965, S. 3 … 26/1966, S. 5.
Zudem dürften sich die Senatsbesetzungen auch aus der folgenden Druckveröffentlichung rekonstruieren lassen:

von Wulffen (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, 2004, S. 915 ff.: "Alle Richter am Bundessozialgericht"

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Quellen für die hier noch fehlenden Geschäfts­verteilungs­pläne seit Gründung des BVerfG am 7.9.1951 sind nicht bekannt. Nach Auskunft aus dem Gericht sind insbesondere Senatsbesetzungen früherer Jahre "in unseren aktuellen Dateien bzw. Akten nicht (mehr) vorhanden" und konnten auch durch "Nachschau in unseren „abgelegten“ Unterlagen" nicht mehr gefunden werden, müssten also "in mühevoller Kleinarbeit aus anderen Listen, Akten usw. gefertigt werden." Interessierte verweist das Gericht "daher unter Hinweis auf § 9 Abs. 3 IFG auf die allgemein zugängliche Quelle der amtlichen Entscheidungs­sammlung des Bundes­verfassungs­gerichts (BVerfGE), aus der sich im Anhang der einzelnen Bände (soweit Änderungen eingetreten sind) die jeweilige personelle Zusammen­setzung der Senate ergibt." (E-Mail von J.W., Ministerialrat, 11.10.2016)

Bundesarbeitsgericht (BAG)

Quellen für die hier noch fehlenden Geschäfts­verteilungs­pläne seit Gründung des BAG am 10.5.1954 sind nicht bekannt. Aus dem Gericht war zu erfahren, "das[s] wir über keine Unterlagen verfügen, in welcher Ausgabe des Bundesanzeigers der Geschäfts­verteilungs­plan des Bundesarbeitsgerichts jeweils veröffentlicht wurde. […] Über die Verfahrens­weise in den Jahren 1954 bis 1966 kann ich leider keine Aussage treffen, weil keine Unterlagen ‐mehr‐ vorhanden sind." (E-Mail von F.B., Verwaltung, 12.12.2016). Die Senatsbesetzungen dürften sich allerdings aus der folgenden Druckveröffentlichung rekonstruieren lassen:

Oetker (Hrsg.), 50 Jahre BAG, 2004, S. 1409 ff.: "Die Präsidenten und Richter des Bundesarbeitsgerichts in den Jahren 1954 bis 2003"

Bundespatentgericht (BPatG)

Quellen für die hier noch fehlenden Geschäfts­verteilungs­pläne seit Gründung des BPatG am 1.7.1961 sind nicht bekannt. Nach Auskunft aus dem Gericht liegen diese Pläne "von 1961 bis 1995 nicht in digitalisierter Form vor. Eine nachträgliche Erfassung in elektronischer Form ist nicht beabsichtigt. Die […] Geschäfts­verteilungs­pläne des Bundespatentgerichts werden jedoch jährlich im Blatt für Patent‐, Muster‐ und Zeichenwesen (BlPMZ) veröffentlicht. [… D]ie jeweiligen Fundstellen ergeben sich direkt aus dem jeweiligen Jahresregister. Eine Mitteilung der genauen Fundstellen ist dem Bundespatentgericht aus Kapazitätsgründen nicht möglich, wofür ich um Verständnis bitte." (E-Mails von Dipl.-Rpfl. C.M., Sachgebiet 5.1 (Presse‐ und Öffentlichkeitsarbeit), 9.12.2016)